Öffentliche Großbauprojekte: Probleme und Lösungen.
Aengevelt Research hat auf der Basis internationaler Forschungserkenntnisse und eigener umfangreicher Recherchen in Deutschland markante typische Gründe ermittelt, warum es bei Großbauprojekten der öffentlichen Hand regelmäßig zu massiven Kosten- und Bauzeitüberschreitungen kommt: Meist ist es eine Mischung aus politisch motiviertem Schönrechnen, spektakulärer Architektur mit unerprobten Technologien, unvollständiger Planung, paradoxen Effekten von Ausschreibungen, Nichtberücksichtigung unerwarteter Probleme, Nachträgen durch immer neue Wünsche und verschärften Regeln und Vorschriften, mangelnder Projektsteuerung und einer nicht beherrschbaren Komplexität, bei der jedes Problem mehrere Folgeproblematiken nach sich zieht. Aengevelt analysiert dazu Möglichkeiten, Megaprojekte deutlich beherrschbarer zu machen.
Elbphilharmonie, Flughafen BER, Stuttgart 21, Sanierung des Kölner Opern- und Schauspielhauses, Sanierung des Pergamon-Museums – die Liste jüngster öffentlicher Großbauvorhaben mit massiven, teilweise dramatischen Kosten- und Bauzeitüberschreitungen ließe sich problemlos verlängern. In der Regel liegen die endgültigen Baukosten bei Großprojekten bei einem Vielfachen, mitunter sogar bis zum Zehnfachen des ursprünglichen Kostenvoranschlags. „Hat Deutschland das Bauen verlernt?“ wird deshalb immer häufiger gefragt. Der Oxford-Forscher Bent Flyvbjerg hatte tatsächlich festgestellt, dass Deutschland in früheren Zeiten im internationalen Vergleich einen Kompetenzvorsprung bei der Realisierung von Mega-Bauprojekten hatte, der allerdings inzwischen abgeschmolzen ist. Nur 0,5 % der von Flyvbjerg untersuchten internationalen Großprojekte hatten Kostenvoranschlag und geschätzte Bauzeit einhalten können – wie es einst beim Empire State Building der Fall gewesen ist. Nicht wenige Megabauvorhaben sind als Bauruinen geendet.
Ursachen für Kosten- und Bauzeitüberschreitungen.
Nach Analysen von Aengevelt Research ergeben sich Kosten- und Bauzeitüberschreitungen von öffentlichen Großprojekten meist aus der Kombination mehrerer Ursachen:
- Unvollständige oder mangelhafte Planung. Insbesondere, wenn verantwortliche Politiker den ersten Spatenstich, die Grundsteinlegung, das Richtfest oder gar die Fertigstellung als PR-Termin in der Nähe von Wahlen nutzen wollen, wird ein derartiger Zeitdruck ausgeübt, dass Ausschreibungen infolgedessen auf Basis unvollständiger oder mangelhafter Pläne erfolgen. Daraus resultieren zum einen extrem kostspielige Nachträge, zum zweiten Plankorrekturen, die bei komplexen Projekten dann noch weitere Folgekorrekturen nach sich ziehen, die in der Regel die kostenrelevanten Gewerke betreffen.
- Kostenvoranschläge öffentlicher Bauherren werden regelmäßig schöngerechnet, um die Akzeptanz seitens politischer Gremien, Medien und der Wahlbevölkerung nicht durch realistische Kostenschätzungen zu gefährden. Beispielsweise erhöhten sich die anfangs auf EUR 77 Mio. bezifferten Kosten der Elbphilharmonie für die Stadt Hamburg bis zur Fertigstellung um den Faktor 9,1 auf EUR 789 Mio. Die Baukosten für den Flughafen BER steigerten sich von anfangs kalkulierten EUR 2,0 Mrd. um 255 % auf EUR 7,1 Mrd.
- Typisch für öffentliche Bauherren sind Änderungswünsche, die sich insbesondere ergeben, wenn politische Gremien neu besetzt werden, wenn zusätzliche Akteure einbezogen werden oder wenn neue Themen auf die politische Agenda kommen (wie nachträgliche Installation von Anlagen zur Gewinnung regenerativer Energien oder eine dritte Toilettenanlage für diverses Geschlecht). So hatte es beim Neubau des Flughafens BER über 500 Änderungswünsche gegeben, die Umplanungen, Nachträge und sechs zusätzliche Bauanträge erforderten.
- Riskant sind prestigewirksame Gebäude mit spektakulärer Architektur, über die keine hinreichenden Ersteller- und Nutzungserfahrungen vorliegen, insbesondere wenn neue, weitgehend noch unzureichend erprobte Technologien eingesetzt werden.
- Ausschreibungen sollten für größtmögliche Wirtschaftlichkeit sorgen, haben aber häufig den paradoxen Effekt, dass man sich von Generalübernehmern abhängig macht, die zwar das vermeintlich günstigste Angebot vorgelegt haben, sich dann aber durch „vergessene Detailplanung“ und deren Nachträgeauslösung bereichern. Auch gehen aus Ausschreibungen häufig Anbieter und deren Subunternehmer hervor, die mit der Abwicklung von Großbauvorhaben schlichtweg überfordert sind (wie eine westeuropäische Brandschutzfirma, die für Verzögerungen mehrerer öffentlicher Bauvorhaben verantwortlich war).
- Planungsverfahren und Ausschreibungen enthalten in der Regel keine oder nur unzureichende Puffer, Reserven und Alternativen für die Bewältigung unerwarteter Probleme, deren Eintrittswahrscheinlichkeit mit der Komplexität des Bauvorhabens steigt.
- Typisch für öffentliche Großbauvorhaben sind auch Mängel der Projektsteuerung, die regelmäßig aufgezeigt werden, wenn Untersuchungsausschüsse Kosten- und Bauzeitüberschreitungen nachträglich untersuchen. Verantwortlich dafür sind unterbesetzte Behörden (die in manchen Fällen Großbauvorhaben sogar mit reduzierter Personalausstattung abwickeln mussten), mangelnde Koordination einer Vielzahl von Projektbeteiligten und Aufsichtsgremien, die mit fachlich nicht hinreichend ausgebildeten / einschlägig bauerfahrenen Politikern besetzt sind.
- Es mangelt an Strukturen zur Beherrschung von komplexen Bauvorhaben mit zahlreichen Schlüsselakteuren und Abhängigkeitsketten, bei denen ein Problem zahlreiche Folgeprobleme in verschiedenen Gewerken nach sich zieht.
- Ist erst einmal eine Anfangsverzögerung eingetreten, entwickelt sich in der Regel daraus ein Dominoeffekt mit kumulativen, kostenintensiven Folgeverzögerungen. Das kann dazu führen, dass während der verlängerten Projektlaufzeit beteiligte Unternehmen in die Insolvenz gehen und/oder Schlüsselakteure in den Ruhestand wechseln oder, wie es bei der Sanierung des Pergamon-Museums in mehreren Fällen vorgekommen ist, während der jahrzehntelangen Projektrealisierung versterben. So führen etwa durch Terminüberschreitungen verursachte Konflikte zu langwierigen Gutachten-, Gegen- und Obergutachtenerstellungen und dazugehörigen mehrinstanzlichen Rechtsstreitigkeiten, die weitere Stillstandsphasen verursachen.
Empfohlene Modularisierung oft nicht durchführbar.
So empfiehlt Professor Flyvbjerg insbesondere, die Komplexität von Großprojekten zu reduzieren, indem man sie in besser beherrschbare Module aufteilt, die eine Lernkurve ermöglichen. Nach Einschätzung von Aengevelt Research ist eine solche Modularisierung bei vielen Bauvorhaben jedoch aus strukturellen Gründen nicht durchführbar, etwa, wenn es sich um einen einzigen Baukörper handelt (wie bei der Elbphilharmonie) oder wenn sämtliche Module gleichzeitig fertiggestellt werden müssen, weil sie funktional aufeinander angewiesen sind (wie bei einem Flughafen).
Vollständige Ausführungsplanung vor Vergabeverfahren notwendig.
Aengevelt Research stimmt mit Flyvbjerg darin überein, dass Großprojekte eine vollständige Ausführungsplanung benötigen, bevor das Vergabeverfahren stattfindet, so dass kosten- und zeitaufwändige Nachträge vermieden werden. Für unvorhergesehene Probleme, die bei komplexen Projekten mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten, sind zudem ausreichende Puffer, Reserven und Alternativen einzuplanen. Die Projektsteuerung ist zu professionalisieren.
Aengevelt Research empfiehlt darüber hinaus, das Vergabewesen grundlegend zu reformieren, um den paradoxen Effekt zu vermeiden, dass das Bemühen um das wirtschaftlichste Angebot dazu führt, dass die anfangs ermittelten Kosten um ein Vielfaches überschritten werden.
Dr. Wulff Aengevelt fordert deshalb: „Wenn öffentliche Baubehörden mit der Steuerung von Großbauvorhaben überfordert sind – was nahezu regelmäßig der Fall ist -, dann sollten sie die Projektsteuerung an Unternehmen delegieren, die nachweislich über Erfahrungen mit entsprechenden Projekten verfügen. Dabei sollten Anreizstrukturen vereinbart werden, die qualitätsneutrale Einsparungen bei Kosten und Bauzeit honorieren. Das erfordert nicht weniger als eine Revolution des öffentlichen Vergabewesens und ist angesichts des mittlerweile bundesweiten Infrastrukturstaus eine vorrangige immobilienwirtschaftliche Aufgabe der nächsten Bundesregierung, zumal hierdurch vielfältige Beschäftigungs- und Wachstumsimpulse ausgelöst werden.“
Thomas Glodek
Leiter Öffentlichkeitsarbeit
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