Das Gebäudetyp-E-Gesetz: Mehr Schaden als Nutzen.

Das Gebäudetyp-E-Gesetz: Mehr Schaden als Nutzen.

Das Researchteam von DIP-Partner Aengevelt hat den Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums analysiert, den der Bundestag in den kommenden Wochen beraten soll und der erleichtern soll, von kostentreibenden Baunormen abzuweichen, um dadurch die Baukosten zu senken. Aengevelt Research kommt zu dem Schluss, dass das geplante Gesetz genau das Gegenteil bewirken würde, weil es im sicherheitstechnischen Bereich sogar noch höhere Standards als bisher verlangt und im Komfortbereich derartige rechtliche Risiken begründet, dass Planer und Bauherrschaften gut beraten sind, auf die Realisierung des Gebäudetype E zu verzichten.

Die Bundesregierung plant, einen Beitrag zur Senkung der Baukosten zu leisten, indem sie im Herbst 2024 einen Entwurf für ein „Gebäudetyp-E-Gesetz“ in den Bundestag einbringen will, der bereits als Referentenentwurf vorliegt. „E“ steht dabei für „einfach“ oder „experimentell“. Das Vorhaben geht auf eine Initiative zur Vereinfachung der Bauvorschriften zurück, die ursprünglich von der Bayerischen Architektenkammer initiiert wurde. Das Gesetz soll zum Jahresanfang 2025 in Kraft treten. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, Abweichungen von den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu erleichtern, wenn diese „nur“ Komfort- und Ausstattungsmerkmale betreffen.

Bisher müssen grundsätzlich die anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden, um ein mangelfreies Werk gemäß § 633 BGB zu liefern. Wenn ein Auftragnehmer – Planer oder Bauunternehmer – von diesen Regeln abweicht, um Kosten zu senken oder innovative Verfahren einzusetzen, benötigt er die Zustimmung der Bauherrschaft, die er zuvor umfänglich über etwaige Risiken aufzuklären hat. Außerdem darf die Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigt werden. Die daraus erwachsenden zivilrechtlichen Risiken sind grundsätzlich so hoch, dass bei den allermeisten Bauvorhaben die anerkannten Regeln wie DIN-Normen, VDI-Richtlinien, VDE-Vorschriften oder einheitliche technische Baubestimmungen des Instituts für Bautechnik (ETB) eingehalten werden.

Dies führt in der Praxis häufig dazu, dass die Baukosten steigen, weil die technischen Regeln ein hohes Ausstattungs- und Komfortniveau vorsehen. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen nennt in seiner „Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E” als Beispiele die Dicke von Betondecken, die nach DIN 4109-5 für die Trittschalldämmung erforderlich ist, die Zahl der Steckdosen pro Wohnung, die nach DIN 18015-2 vorgeschrieben ist, und die Temperatur von 24°C, die nach DIN EN 12831-1 in Badezimmern erreicht werden muss.

Das Gebäudetyp-E-Gesetz soll verbesserte Rechtssicherheit schaffen, wenn aus Gründen der Baukostensenkung von den anerkannten Regeln der Technik abgewichen wird. Dafür soll erstens ein neuer § 650o in das BGB einfügt werden, der ermöglicht, dass in der Beschaffenheitsvereinbarung von den anerkannten Regeln der Technik abgewichen werden kann, ohne dass der Besteller über die mit dieser Abweichung verbundenen Risiken und Konsequenzen aufgeklärt werden muss. Ist keine Beschaffenheit vereinbart, kann von den Regeln abgewichen werden, wenn die Sicherheit und Eignung nicht beeinträchtig ist und der Besteller nicht unverzüglich widerspricht.

Zweitens soll § 650a BGB durch eine Regelung ergänzt werden, nach der bautechnische Normungen, die reine Ausstattungs- und Komfortmerkmale abbilden, keine anerkannten Regeln der Technik mehr darstellen sollen. Umgekehrt wird, wie es im Gesetzentwurf heißt, „vermutet“, dass alle bautechnische Normungen, die sicherheitstechnische Festlegungen enthalten, anerkannte Regeln der Technik sind. Damit würde das vorgesehene Gesetz das Gegenteil von dem bewirken, was es beabsichtigt: Bisher reichte es nämlich nicht aus, wenn es eine technische Regel mit Sicherheitsziel gab. Um als anerkannte Regel der Technik rechtswirksam zu werden, musste es zusätzlich eine Mehrheit von anerkannten Fachleuten geben, die diese Regel akzeptiert. Dieses zusätzliche Kriterium soll nun wegfallen. Bisher reichte es, die anerkannten Regeln der Technik zu beachten; in Zukunft müsste der weitergehende Stand der Technik befolgt werden. Damit müssten nicht weniger, sondern sogar noch mehr Regeln befolgt werden, um einen Sachmangel auszuschließen. Dies gilt auch dann, wenn von der Option, ein Gebäude vom Typ E zu errichten, kein Gebrauch gemacht wird.

Zudem verweist Aengevelt Research darauf, dass das Gesetz neue Unsicherheiten schaffen würde. So verzichtet es darauf, den zentralen, aber unbestimmten Rechtsbegriff „anerkannte Regeln der Technik“ zu definieren, sondern will das, wie es in der Begründung zum Gesetzentwurf heißt, der widersprüchlichen Rechtsprechungen überlassen.

Außerdem hält Aengevelt Research die vorgesehene Zweiteilung von Baunormen in sicherheitstechnische Festlegungen und auf Komfort und Ausstattung abzielende Normen für unzureichend und unpraktikabel. So enthält die Muster-Verwaltungsvorschrift für Baubestimmungen nicht nur zwei, sondern sechs Hauptgruppen technischer Regeln. Aengevelt verweist darauf, dass die Landesbauordnungen verlangen, dass so gebaut werden muss, dass „insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden“ (§ 3 Musterbauordnung). Dadurch wären die vom Bundesbauministerium vorgeschlagenen Unterschreitungen des Anforderungsniveaus bei der Trittschalldämmung und bei der Mindesttemperatur in Badezimmern bereits sehr kritisch zu beurteilen, weil man plausibel argumentieren könnte, dass Lärm und niedrigere Temperaturen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können.

Nach Einschätzung von Aengevelt wird das Problem, dass zivilrechtliche und bauordnungsrechtliche Anforderungen nicht deckungsgleich sind, durch das geplante Gesetz nicht gelöst, sondern noch verschärft, so dass die angestrebte Wirkung nicht eintritt, sondern das ganze Vorhaben verpufft und weiteren Frust aufbaut.

Es wird auch nicht berücksichtigt, dass zahlreiche technische Vorgaben sowohl sicherheitsrelevante Fragen als auch Komfort- und Ausstattungsaspekte regeln. Für diesen Fall heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf lapidar, die Zuordnung unterliege dann „im Einzelfall der Würdigung des Gerichts“.

Dr. Wulff Aengevelt, geschäftsführender Gesellschafter von DIP-Gründungspartner Aengevelt: „Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, für größtmögliche Klarheit und Eindeutigkeit und damit Rechtssicherheit zu sorgen. Der Entwurf zum Gebäudetyp-E-Gesetz bewirkt genau das Gegenteil, und das zuständige Ministerium hat noch die Chuzpe, sich selbst dafür zu loben, dass es ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte, Gutachter und Richter schafft. Diesen, mit heißer Nadel gestrickten Gesetzentwurf müssen Bundestag und Bundesregierung dringend nachbessern. Dabei müssen insbesondere die notwendigen Mindest-Präzisierungen und Richtigstellungen in den parlamentarischen Beratungen vorgenommen werden.“

Artikel teilen
  • Facebook Icon
  • Twitter Icon
  • LinkedIn Icon

Thomas Glodek

Leiter Öffentlichkeitsarbeit